„Man muss mit einer großen Leidenschaft und einem gewissen Sendungsbewusstsein arbeiten.“

Elisabeth Schneider im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über regionale Kulturarbeit in Radstadt, Land Salzburg

Wie wird kulturelle Teilhabe im Salzburger Land umgesetzt? Welche Projekte kultureller Teilhabe gibt es bereits und welche Hürden sind noch zu meistern? Das Interviewgespräch mit Elisabeth Schneider konzentriert sich auf die aktuellen Herausforderungen von Teilhabeprozessen, auf Förderpolitik im Kunst- und Kulturbereich in Radstadt und auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land. Elisabeth Schneider ist langjährige künstlerische Leiterin, Programm- und Projektentwicklerin sowie Geschäftsführerin des Kulturkreises DAS ZENTRUM Radstadt. Außerdem engagiert sie sich überregional im Landeskulturbeirat der Salzburger Landesregierung und bei Leader Pongau. Das Interview wurde in Radstadt während des 17. Filmfestivals 2018 geführt.

Wie setzt du in deinen Projekten kulturelle Teilhabe um?

Es ist eigentlich eine grundsätzliche und selbstverständliche Voraussetzung. Wenn ich hier in Radstadt arbeite und möchte, dass sich Menschen für diese Programme und Inhalte interessieren, muss ich es so aufbereiten, dass kulturelle Teilhabe automatisch möglich ist. Sonst interessiert das niemanden. Ich kann da nicht abgehoben agieren und muss von Anfang an schauen, wo die Interessen liegen. Wie finde ich Anknüpfungspunkte, wo ich Menschen erreichen kann? Daraus werden die unterschiedlichsten Programme entwickelt.

Kannst du ein Beispiel eines gelungenen und/oder gescheiterten Versuchs kultureller Teilhabe im Zuge eurer Projekte nennen?

Nehmen wir das aktuelle Filmfestival als Beispiel. Es ist das siebzehnte. Wir haben insgesamt 27 Filme. In der Programmierung ist es für mich wichtig, die unterschiedlichsten Zielgruppen anzusprechen. Das ist eine Grundvoraussetzung, denn wenn unterschiedlichste Interessen an einem Ort aufeinandertreffen, entsteht Austausch und etwas Neues. Wenn Menschen, die sich beispielsweise für den Film Der Wildheuer interessieren, mit anderen, die sich für den Film MABACHER – #ungebrochen interessieren, zusammenkommen, dann entsteht Kommunikation. Damit ist das eine Form von Teilhabe an unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnissen. Das ist die Art und Weise, in der ich versuche, hier vor Ort zu arbeiten. So kommen alle ins Gespräch, werden wahrgenommen und gehört. Es wird nachgefragt: „Warum interessiert dich das?“ Daraus ergibt sich auch für mich persönlich eine spannende Weiterentwicklung in Bezug auf die weitere Programmierung.

Das klingt so, als würde durch das Programm und durch die Vielfalt an interessierten Leuten eine Atmosphäre geschaffen, in der Austausch möglich wird. Kann man das so zusammenfassen?

Ja. Ich denke, das ist auch der große Vorteil, wenn man am Land Kulturarbeit macht. Man kann nicht zu elitär vorgehen, sondern muss sehr offen und großzügig sein, damit es keine Einschränkungen gibt. Der größte Anspruch ist die Qualität. Wenn wir etwas machen, dann wollen wir den Leuten beste Qualität bieten. Es ist nicht so wichtig, ob das spezifische Menschen interessiert, wir wollen, dass es grundsätzlich für alle interessant ist. Dann müssen wir es eben so aufbereiten, dass es funktioniert.

Gab es Momente, wo du das Gefühl hattest, dass es nicht funktioniert hat oder gescheitert ist?

Natürlich macht man diese Erfahrung immer wieder. Vielleicht sind das Erfahrungen, die die früheren Jahre stärker geprägt haben. Damals war das Bedürfnis größer, an Themen dranzubleiben und diese zu machen, weil man sie wichtig fand. Dann mussten wir feststellen, dass andere Themen wichtiger sind. Die Sensibilität und Hellhörigkeit zu entwickeln, was diese Themen sind und wie man es schafft, über die Wunschthemen die richtigen Inhalte zu bringen, war ein Prozess.

Du hast bereits die Unterschiede zwischen Stadt und Land Salzburg angesprochen. Was sind für dich als Kulturarbeiterin die größten Unterschiede?

Ein großer Unterschied zur städtischen Kulturarbeit ist, dass wir am Land ein Mehrspartenbetrieb sind. Ich kann mich nicht darauf spezialisieren, nur literaturinteressierte Menschen anzusprechen, sondern muss immer die gesamte Palette des kulturellen Angebots parat haben. Film ist für uns ganz wichtig und manchmal soll auch etwas dabei sein, wo man sich zurücklehnen kann. Aber ich kann nicht permanent Filme im Original vorführen, obwohl das der Anspruch wäre.

Welche Sparten habt ihr?

Alle (lacht). Wir haben Literatur, Theater, Kabarett, Film und Musik, Bildende Kunst. Wir machen Angebote für Kinder. Es gibt sozusagen nichts, was nicht immer wieder im Laufe des Jahres abzudecken oder zu erfüllen ist. Eine ganz wichtige Sparte wäre Jugendkultur, aber dort stößt man schnell an die eigenen Grenzen. Jugendkultur ist solch ein komplexes Arbeitsfeld, das nicht nebenher gemacht werden kann. Da muss ich sagen: „Was möglich ist, ist möglich, aber mehr geht einfach nicht mehr.“

Gibt es hier in Radstadt Angebote für Jugendliche oder von Jugendlichen?

Zunächst muss man sagen, dass Radstadt der Ort bzw. die Stadt im Bundesland Salzburg mit den meisten Vereinen ist. Wir haben 4800 Einwohner und 57 Vereine. Da kann man davon ausgehen, dass nahezu jeder Erwachsene und Jugendliche in einem Verein organisiert ist, ob das die Jungfeuerwehr, das Jugendrotkreuz, die Eisschützen, die Bürgergarde oder die Blasmusik ist. Es ist ein starkes, intensives Vereinsleben. Darüber hinaus gibt es natürlich noch Menschen, die anders beheimatet sind.

Was meinst du mit anders beheimatet?

Es gibt Menschen, die nicht in den Vereinen beheimatet sind, keine Vereinszugehörigkeit haben oder sich nicht dem Kulturverein zugehörig fühlen.

Gibt es deiner Erfahrung nach weitere Unterschiede zwischen Stadt und Land in Bezug auf Kulturarbeit?

Ein Unterschied ist sicher, dass ich am Land nicht sagen kann: „Ich bin Geschäftsführerin und ich mache nur diese Arbeit und sonst nichts.“ Jeder von uns, der am Land im Kulturbereich arbeitet, muss den Mistkübel ausleeren, die Sessel aufbauen und wegräumen, wissen, wo die Kabel und das Mikrofon sind, Kaffee für die Künstler kochen, eine Jause parat haben oder den Schnee vor dem Haus wegräumen. Man muss also das Gesamte vom Hausmeister über Künstlerbetreuung bis Programmgestaltung parat haben. Das ist manchmal sehr anstrengend.

Woran liegt es, dass so ein großer Unterschied besteht?

Wenn ich von unserer Struktur ausgehe, wird der Hauptteil ehrenamtlich erledigt. Wir haben seit Jänner dieses Jahres eine Mitarbeiterin für 15 Stunden und der Kinovorführer wird bezahlt. Der Rest ist ehrenamtliche Arbeit. Man muss mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern sehr respektvoll umgehen und kann nicht davon ausgehen, dass sie alles gleich machen wie jemand, der dafür bezahlt wird. Man braucht eine bessere Team- und Vertrauensstruktur und auch eine freundschaftlich-zugewandte Struktur. Ansonsten wird ein ehrenamtlicher Mitarbeiter sagen: „Weißt du was, stell dir deine Sessel selbst auf!“ Das Interesse und die Wertschätzung füreinander müssen groß sein, damit so ein umfangreiches Kulturprogramm das ganze Jahr lang aufrechterhalten werden kann. Wir haben mehr als 100 Veranstaltungen pro Jahr, wenn man das Festival auf einzelne Veranstaltungen aufteilt. Während des Festivals haben wir von Mittwoch bis Sonntag durchgehend ab acht Uhr früh Programm. Die Schulen sind auch sehr stark eingebunden. Deshalb braucht es ein gutes ehrenamtliches Team, denn ohne ehrenamtliche Mitarbeiter funktioniert am Land gar nichts.

Liegt das daran, dass man sich in ländlichen Strukturen mehr kennt und deswegen mehr miteinander arbeitet oder liegt es daran, dass es am Land weniger Finanzierung gibt? Oder ist es beides oder vielleicht etwas ganz anderes?

Es hängt sicher mit der Finanzierung zusammen, wenngleich auch klar ist, dass nicht alles finanziert werden kann. Das ist mir vollkommen klar und ich finde es auch in Ordnung, dass ein gewisser Teil an ehrenamtlicher Arbeit geleistet wird. Ich hoffe ganz stark, dass es nach wie vor Menschen gibt, die die Qualität dieser Arbeit und die gestalterische Möglichkeit sehen. Der Aufwand ist vielleicht groß, aber der Aufwand für eine andere Arbeit, die vielleicht nicht so lustig ist, ist genauso groß. Ich hoffe, dass sich in Zukunft auch wieder Menschen finden, die das weiter betreiben. Ich sehe das, was wir hier machen, als ganz starke politische Arbeit. Es ist ein Beitrag zur Lebensqualität hier im Ort und für die ganze Region. Wie schafft man es, ein Netzwerk aufzubauen, das Menschen die Möglichkeit gibt, ein Umfeld, Inhalte und Programme zu finden, ohne mit dem Auto irgendwo hinfahren zu müssen? Es gibt bei uns keinen öffentlichen Verkehr. Das ist Tatsache. Niemand kann am Abend irgendwo ohne Auto hinfahren, egal ob ins Kino oder in ein Café. Wenn man von Radstadt ausgeht, wohnen innerhalb der Stadtmauer 300 Menschen. Die können etwas zu Fuß erreichen. Der Rest ist aber auf das Auto angewiesen. Ich finde es wichtig, dass man vielleicht nur drei oder fünf Kilometer, aber nicht gleich nach Salzburg fahren muss.

Mobilität ist eigentlich in ganz Salzburg ein Thema …

Das ist wirklich ein großes Problem. Beim Filmfestival haben wir beispielsweise viele Gäste, die mit dem Zug anreisen, ob aus Wien, Innsbruck oder Salzburg. Die Gäste kommen abends am Bahnhof Radstadt an. Es ist stockfinster, du weißt nicht, wo der Weg in die Stadt führt. Da kann man keinen Plan hinschicken und sagen, wo die Adressen sind. Es findet niemand in die Stadt herauf. Jeder muss abgeholt werden.

Welche Vor- und Nachteile gibt es noch bei Kulturarbeit am Land?

Eine Auffälligkeit ist ganz klar, dass der Weg vom Land in die Stadt kürzer ist als von der Stadt aufs Land. Für uns ist es wesentlich selbstverständlicher, dass wir nach Salzburg fahren, egal aus welchem Grund, als dass irgendwer von Salzburg nach Radstadt fährt, weil es dort interessante Angebote gibt. Das ist ein ganz großer Unterschied. Lediglich im naturverbundenen Freizeitverhalten ist das vielleicht anders. Das ist ein gefühlter Unterschied im Kopf und nicht in der Wirklichkeit. Ich glaube, dass allgemein und in der Stadt im Besonderen ein Überangebot produziert wird. Das ist in der Stadt stärker, aber auch wir müssen schauen. Wir könnten fünfmal so viel Programm machen, denn Künstler brauchen klarerweise Orte und Kulturstätten, wo sie Programme präsentieren können. Es kommen aber jeden Tag so viele Anfragen und Angebote, dass man leider ganz oft sagen muss: „Ja, das ist wirklich interessant, aber wir können im Monat keine zehn Konzerte machen, sondern maximal eines.“

Habt ihr auch einen Fokus auf lokale Künstler_innen?

Es ist sehr gemischt. Kunstschaffende oder Musiker im lokalen Bereich haben meist ihre eigenen Kanäle. Die sind meist in Lokalen, da spielt sich wieder mehr im Vereinsleben ab.

Wer kann deiner Erfahrung nach bei Kunst und Kultur in Salzburg mitmachen und wer nicht? Was sind Ein- und Ausschlussmechanismen, die stattfinden oder die du vielleicht auch erfahren hast?

Ich würde es aus meiner lokal begrenzten Situation beschreiben. Beispielsweise, als 2016 die ersten Flüchtlinge kamen, hat das den Ort oder die Bevölkerung gespalten. Es war sehr schwierig, hier vernünftige Diskussions- und Gesprächssituationen herzustellen. Besonders jetzt, im Zuge der politischen Veränderung, die schleichend über das Land kommt, merke ich, dass es wirklich noch eine viel konzentriertere, gezielte Arbeit braucht. Es braucht – gerade am Land eine Auseinandersetzung mit Formaten, die Verständnis, Toleranz und Offenheit fördern.

Es ist ganz interessant, wie derzeit die Krampus-Geschichte wieder hochgespielt wird. Wenn du mittendrin bist und merkst, dass es in jedem zweiten Gasthaus ab Ende Oktober eine Krampusparty gibt und das so hingestellt wird, dass die Jungen das Brauchtum irgendwie neu definieren würden, dann lässt mich das nicht kalt. Das erfüllt mich mit Unbehagen und Sorge. Ich habe das Gefühl, es braucht viel mehr Kommunikation. Das versuche ich umzusetzen und ich glaube, dass es manchmal, beispielsweise beim Filmfestival, auch gelingt. Es gelingt wirklich, dass Menschen unterschiedlichster Interessen sich unterschiedlichste Filme anschauen und auch von anwesenden Filmschaffenden Hintergrundinformationen bekommen. So können sich Wahrnehmungen und Sichtweisen verändern. Es ist eben mit einem großen Aufwand verbunden und man hat oft das Gefühl, es sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir brauchen dahingehend mehr Unterstützung. Dann kann es dazu kommen, dass das, was wir machen, nicht etwas Außergewöhnliches ist, sondern dass Veranstaltungen und Programme, in denen Diskussions- und Diskursprozesse möglich sind, zur Normalität werden.

Was würdest du beispielsweise vom Land Salzburg, der Stadt Radstadt oder den Leuten, die für dich Ansprechpartner_innen sind, konkret fordern oder was würdest du brauchen? Was wäre eine konkrete Maßnahme, die eure Arbeit unterstützen würde?

Da brauchen wir gar nicht lange herumreden. Es ist immer das Geld. Immer.

Also, dass man das Geld sozusagen inhaltlich bindet?

Wobei das mit der inhaltlichen Bindung wieder schwierig ist. Ich kann nicht sagen: „Das ist der Topf, mit dem wir nur Vorträge, Diskussionen oder irgendetwas Spezielles machen.“ Ich finde aber dieses permanent Genreübergreifende so wichtig, das bei uns am Land eigentlich ohnehin Alltag ist. Wie gesagt, kann ich mich nicht nur auf den Literaturinteressierten konzentrieren. Ich muss schauen, dass die Leute alles interessiert, dass sie film-, musik- und literaturinteressiert sind. Generell glaube ich, dass eine finanziell gut dotierte Kulturarbeit des Landes eine Investition dahingehend ist, dass diese aufgeklärte Gesellschaft am Land nicht verschwindet und sich noch mehr in der Stadt konzentriert, sodass wir wie ein paar Exoten dastehen und Programme anbieten, die nur noch eine Handvoll Menschen interessieren. Ich finde es extrem wichtig, dass man das Gefühl hat, mit diesen Programmen etwas auszurichten: wie gefallener Regen am Boden, der sich ausbreitet und einsickert und man soll sehen, dass es saugt.

Das heißt eine Art politische Rückenstärkung auf der einen und finanzielle Mittel auf der anderen Seite? Wenn man finanzielle Mittel hat, die Kulturarbeit fördern, dann kann das eigentlich alles sein, auch der Krampusverein, der dann Geld bekommt?

Ja. Im Gemeindebudget heißt diese Position Kunst, Kultur und Kultus. In diesem Topf ist auch enthalten, was die katholische und evangelische Kirche bekommt. Es ist eben so am Land. Das geht von Kultur- bis zur Vereinsförderung. Ich habe grundsätzlich ein gutes Gefühl, was die Kulturförderung betrifft und wir bekommen auch viel Wertschätzung. Dennoch muss man einen langen Atem haben. Nach 18 Jahren im Besenkammerl habe ich nun seit Jänner ein schönes Büro, das sich zufällig ergeben hat. Vorher war es das Büro des Kapellmeisters, der einmal pro Woche für die Musikprobe gekommen ist. Das ist sozusagen eine Beschreibung von Wertigkeiten. Sicherlich ist die Blasmusik wichtig, keine Frage. Sie gehört zur Identität einer Stadt. Aber man muss eben lange warten und auf glückliche Fügungen hoffen. Man muss mit einer großen Leidenschaft, viel Begeisterung und auch einem gewissen Sendungsbewusstsein arbeiten.

Also man braucht wirklich Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit.

Ja. Ich finde es wichtig, dass diese Strukturen, die wir über 20, 25 Jahre aufgebaut haben, so weit gestärkt werden, dass sie erhalten bleiben, wenn ich es nicht mehr mache. Wenn man auf das Land schaut, sind alle in meinem Alter oder älter. Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit man diesen großartigen Arbeitsplatz auch bewerben kann. Das ist ein unglaublich schöner Arbeitsbereich. Mit diesem Einsatz, mit dem wir das aufgebaut haben und wie wir das jetzt machen, wird sich kaum wer finden, der das weitermacht. Außer es infiziert sich irgendwer. Möglich.

Ist dein Arbeitsplatz langfristig gesichert oder müsst ihr die Finanzierung projektbezogen jedes Mal neu einreichen?

Es ist eigentlich relativ gut abgesichert. Man weiß aber natürlich nie. Unser Bürgermeister etwa beabsichtigt aufzuhören. Das erfüllt mich mit einer gewissen Sorge, weil er uns starken Rückhalt gibt – eine ganz wichtige Voraussetzung für uns. Es macht keinen Sinn, wenn man sozusagen einzelkämpferisch arbeitet. Die Gemeinde hat auch viel Geld in die Hand genommen und das hängt eben stark vom Verhältnis zum Bürgermeister ab. Wenn er Kulturarbeit als wichtig und notwendig für den Ort erachtet, dann steht er dahinter und kümmert sich auch um die entsprechende finanzielle Ausstattung. Sollte er das aber für überflüssig halten, dann kommt etwas anderes rein. Daher hat eine bestimmte Öffentlichkeit für uns einen unglaublichen Wert. Wenn wir eine gute mediale Präsenz haben, dann ist das wieder so wie mit dem Regen, der überall hin sickert. Dann wissen viele Menschen, was wir machen, auch wenn sie es nicht in Anspruch nehmen. Sie wissen, dass im Zeughaus diese und jene Veranstaltung stattfindet. Sie lesen in der Zeitung davon und sehen es im Fernsehen. Das hat dann eine andere Bedeutung für den Ort, als wenn man im stillen Kämmerlein heimlich spannende Programme macht.

Würdest du auch sagen, dass es in dieser Beziehung zum Bürgermeister einen Unterschied gibt? Glaubst du, dass man in der Stadt auch mehr Möglichkeiten ohne diese direkte Verbindung hat?

Klar, denn hier trifft man sich mit dem Bürgermeister. Ich glaube, das ist auch eine Stärke der Arbeit am Land. Man ist sich im Alltag wesentlich näher. Wir können uns als Kulturverein nicht ausschließlich auf Belange beschränken, die nur in den eigenen Wänden stattfinden. Wir haben in den letzten Jahren beispielsweise eine Begegnungszone in der Stadt gemacht. Da sind wir involviert und haben eine ganz andere Rolle. Man hat auch eine gewisse öffentliche Verpflichtung.

Ein anderer wichtiger Punkt für kulturelle Teilhabe ist Barrierefreiheit. Das ist vor 20 Jahren bei der Errichtung dieses Gebäudes verabsäumt worden. Von Seiten der öffentlichen Fördergeber Land und Bund wird Druck gemacht, dass es einen barrierefreien Zugang ins Haus gibt, allerdings liegt das nicht in unserer Hand. Es ist nicht unser Haus. Wir können das also überhaupt nicht steuern. Gott sei Dank haben wir einen Bürgermeister, der das versteht, und es ist ihm auch wichtig. Es ist ein Gebäude der Stadtgemeinde und es ist im Prinzip selbstverständlich, dass es öffentlich barrierefrei zugänglich sein muss. Bei diesen Baumaßnahmen kommen unglaubliche Kosten zusammen. Nach langwierigen Verhandlungen bin ich froh, wenn wir den Personenlift im Jänner bekommen.

Es geht einfach nicht, dass kulturelle Teilhabe deswegen nicht möglich ist. Beispielsweise habe ich im Rahmen des Filmfestivals eine interessante Erfahrung gemacht. Wir zeigen den Film MABACHER #ungebrochen, das Porträt eines jungen Mannes im Rollstuhl. Ich habe ihn zur Filmpräsentation eingeladen und er wäre gerne gekommen. Allerdings haben jetzt im November nur zwei Gasthöfe geöffnet, die beide nicht barrierefrei sind. Es ist also nicht möglich, dass jemand dieses Festival besucht, der im Rollstuhl sitzt. Das ist eine Katastrophe, besonders wenn man sich vorstellt, dass Radstadt ein Tourismusort ist. Ich finde, in Zukunft muss Teil der Überlegung für den internen Plan unserer Wirte sein, dass immer ein barrierefreier Gasthof geöffnet ist. Diese Erfahrung habe ich schon an das Tourismusbüro weitergegeben und werde das Thema auch weiterverfolgen.

An welcher Stelle müsste der Druck entstehen oder eine Umsetzung stattfinden, um euch zu unterstützen?

Natürlich ist ein gewisser Druck hilfreich, wenn ich zum Beispiel zum Finanzausschuss geladen werde. Dort kann ich sagen: „Liebe Stadträte! Wir bekommen Probleme mit unserer Förderung, wenn es da keinen barrierefreien Zugang gibt. Bitte nehmt das Gesetz ernst!“ Es ist bereits seit 2016 Gesetz, dass öffentliche Gebäude barrierefrei sein müssen. Es wäre eine Katastrophe, wenn es hieße: „Wenn ihr 2019 nicht barrierefrei seid, wird die Förderung gestrichen.“ Wir müssen uns um kreative Lösungen bemühen. Wir haben eine Kooperation mit dem Roten Kreuz, die wir immer verständigen können, wenn Bedarf besteht. Das ist natürlich keine optimale Lösung, sondern nur ein alternatives Angebot, bis der Lift endlich da ist.

Wie hat sich das im Laufe der Zeit verändert? Du machst das ja doch schon längere Zeit und hast ja offensichtlich Strategien, wie du mit Ausschlüssen umgehst.

Ich kann mich gut erinnern, dass ich vor zehn Jahren einen Film programmiert hatte, der Beeinträchtigung thematisierte. Den habe ich, ohne zu denken, im ersten Stock gezeigt. Erst als ein Besucher kam, der im Rollstuhl war, bin ich fast in Ohnmacht gefallen. Damals hat noch niemand gesagt: „Hallo, was denkst du dir eigentlich?“, weder der Betroffene noch sonst irgendwer. Das war eben ein bisschen blöd, aber der Tenor war damals ein anderer: „Das schaffen wir schon, dass wir den Besucher in den ersten Stock bringen.“ Jetzt muss man es mitbedenken und wenn man das außer Acht lässt, dann ist die Sensibilisierung schon so weit fortgeschritten, dass das einfach nicht mehr akzeptiert ist. Ich finde es richtig und wichtig, dass sich das dahingehend normalisiert. Beispielsweise haben wir im Rahmen des Festivals immer eine Vorstellung der Lebenshilfe am Donnerstagnachmittag. Wir haben eine inklusive Kinovorführung, die ganz normal im Programm steht, aber die Einrichtungen der Lebenshilfe werden explizit angesprochen und eingeladen. Das ist mittlerweile eine traditionelle Veranstaltung. Es kommen Einrichtungen aus Zell am See, Schwarzach, Bischofshofen, Salzburg, Tamsweg und Radstadt. Dann sitzen dort 60 Gäste. Wenn sie da sind, sage ich immer, dass wir internationalen Besuch haben. Es werden alle vorgestellt und dann sind mindestens noch 25 andere Besucher drin. Es ist jedes Mal so ein besonderes Erlebnis, weil diese Unmittelbarkeit und Direktheit auf alle überspringt, und das macht mir wirklich Spaß und Vergnügen, dieses gemeinsame Filmerlebnis zu ermöglichen.

Das klingt nach einem mit der Zeit entstehenden Netzwerk …

Genau. Da gibt es auch immer einen Austausch unter den Einrichtungen. Alle freuen sich schon, dass man sich im November in Radstadt wieder trifft. Es ist praktisch ein großer Ausflug.

Erlebst du dann auch, dass die Bewohner_innen der Einrichtungen in weitere Filme gehen oder bleibt es bei diesem einen Donnerstag?

Das ergibt sich ganz automatisch. Wir haben unten im Foyer eine kleine Bar und bei all unseren Veranstaltungen, außer bei den großen, wird die Bar von der Lebenshilfe betrieben. Wir haben eine Kooperation, im Rahmen derer sie jeden Mittwoch bei jeder Veranstaltung die Bardienste machen. Wenn ihnen das Veranstaltungsangebot passt, dann nutzen sie es nach ihrem Dienst. Über diese 20 Jahre hindurch, in denen die Lebenshilfe unsere Bar betreibt, hat das eine Normalität bekommen, auch wenn das Haus nicht barrierefrei ist.

Gibt es etwas, das du noch hinzufügen willst?

Eines finde ich noch ganz interessant. Obwohl wir dieses Haus als fixen Standort haben, der uns auch viele Vorteile bietet und eine hohe Qualität in Bezug auf Publikumsbindung hat, finde ich es wichtig, dass wir mit dem, was wir machen, auch immer im öffentlichen Raum sind. Ich kann mich nicht darauf beschränken, dass ich immer sprichwörtlich nur im Turm sitze und darauf warte, dass jemand kommt. Es ist mir ganz wichtig, dass wir immer wieder Projekte und Veranstaltungen im öffentlichen Raum anbieten. So werden wir Teil der Alltagskultur. Die Windräder, die draußen hängen, sind eine Installation zum 20-Jahr-Jubiläum des Zeughauses. Wenn ich im Büro sitze, das Fenster geöffnet habe und unten Leute vorbeigehen, höre ich ihre Kommentare. Da merke ich, dass die Installation gute Stimmung verbreitet.

Kannst du weitere Beispiele von Projekten im öffentlichen Raum geben?

Ja, ein Beispiel, das zwar nichts Neues ist, womit wir aber ziemlich früh dran waren: Wir haben seit zehn Jahren am Stadtplatz eine alte Telefonzelle, die mit Regalen ausgestattet ist. Das ist sozusagen unser öffentlicher Bücherschrank, der gut betreut und gewartet wird. Damit muss man schon ziemlich konsequent sein. Ein Kollege von mir registriert immer alles. Wir haben bereits über 9000 Bücher in Umlauf gebracht. Das ist beachtlich, wie ich finde. Es werden alle Bücher beklebt und registriert. Ich denke, wir leisten damit auch einen Beitrag zur kulturellen Bildung.

Was mir auch ganz wichtig ist: das Miteinbeziehen der Schulen und Kindergärten. Das Zeughaus am Turm ist eine infrastrukturelle und kulturelle Einrichtung der Stadt, die die Kinder kennenlernen sollen. Sie sollen wissen, dass es dort ein Kindertheater und ein Kinderkino gibt. Kino ist nicht automatisch mit McDonald‘s und Cineplexx verbunden, sondern in Radstadt ist das Kino auch im Turm. Damit haben wir Arbeit ohne Ende, weil man das immer wieder kommunizieren muss. Für unsere Lehrerinnen und Lehrer ist es manchmal leichter, irgendwelche Angebote anzunehmen, wo man mit dem Bus hinfahren muss. Es ist eine Knochenarbeit zu vermitteln, dass wir hier ein Angebot haben, das sie mit den Kindern nutzen können. Sie können sogar zu Fuß hierherkommen.

Es hat auch etwas mit kultureller Identität zu tun, wenn ich als Schulkind erfahre, dass es in Radstadt ein Kino gibt. Als ich noch Kind war, gab es in Radstadt noch ein Kino, dessen letzte Jahre ich noch miterlebt habe. Es wurden zwar meistens Filme gespielt, die nicht jugendfrei waren und wir durften sowieso nicht rein. Trotzdem gab es das Kino noch. 42 Jahre später haben wir wieder ein Kino. Ich finde es extrem wichtig, dass die Kinder das wissen, es kennenlernen, erfahren und nutzen können.

Danke für das Interview!

Persson Perry Baumgartinger, Elisabeth Schneider ( 2019): „Man muss mit einer großen Leidenschaft und einem gewissen Sendungsbewusstsein arbeiten.“. Elisabeth Schneider im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger über regionale Kulturarbeit in Radstadt, Land Salzburg. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/man-muss-mit-einer-grossen-leidenschaft-und-einem-gewissen-sendungsbewusstsein-arbeiten/