„Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“

„Enge und eindimensionale Zuschreibungen sind problematisch, weil wir immer Erfahrungsräume ausklammern. Und es stellt sich auch die Frage, ob nicht manchmal eine Distanz zu diesen Erfahrungsräumen produktiv sein kann, um ein besseres Verständnis zu erreichen.“

D/Arts sehe ich als organische, aus der Erfahrung entstandene Initiative. Im Kuratorinnen-Team und Netzwerk sind großteils Personen, die selbst sehr unterschiedliche Erfahrungen in Bezug auf Diversität und Diskriminierungen mitbringen. Das bringt mich zur nächsten Frage: Wie siehst du Identitätspolitiken und „cancel culture“ – sowohl konkrete Ereignisse als auch den Diskurs darüber? Das Thema wurde zum Beispiel im Zusammenhang mit der Frage, wer das von der Schwarzen Lyrikerin Amanda Gorman anlässlich von Joe Bidens Inauguration vorgetragene Gedicht übersetzen soll, diskutiert.

Ich konnte bei dem konkreten Fall die Bedenken verstehen. Gleichzeitig ist es gefährlich, bestimmen zu wollen, welche Person für eine Übersetzung geeignet ist. Es wird so einfach gesagt, „nur eine Person mit afro-amerikanischem Hintergrund kann diesen Text übersetzen“. Aber was ist, wenn andere Erfahrungsräume für die Übersetzung wichtig sind, zum Beispiel Exklusionserfahrung auf Grund von Klassenrassismus? Diese engen und eindimensionalen Zuschreibungen sind problematisch, weil wir immer Erfahrungsräume ausklammern. Und es stellt sich auch die Frage, ob nicht manchmal eine Distanz zu diesen Erfahrungsräumen produktiv sein kann, um ein besseres Verständnis zu erreichen. Die Figur des ‚Fremden‘ hatte in der Soziologie diese Funktion: Sie war zum Beispiel für den Soziologen Georg Simmel eine Figur, die zu keiner Gruppe gehört und durch diese Distanz besser in der Lage ist, sich in andere hineinzuversetzen.

Noch eine abschließende Frage: Wie nimmst du den Kulturstandort Salzburg wahr in Bezug auf Diversität?

Ich bin leider erst seit Kurzem in Österreich und kenne die Kulturszene in Salzburg nicht gut. Spontan kann ich jetzt nur eine frühere Erinnerung wachrufen. Ich war vor einigen Jahren auf der Durchreise in Salzburg und auf einem Platz stand eine ‚Jedermann-Bühne‘, eine Bühne, die offen war für alle, die mitsingen oder mitspielen wollten. Das hat mir sehr gut gefallen. Mein damals 9-jähriger Sohn hat auf dieser Bühne die „Seeräuber-Jenny“ von Bertolt Brecht gesungen. Dieses Lied mit „Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen und ich mache das Bett für jeden…“ ist ein Lied, das ich liebe und welches er schon als Kind von mir lernte. Diese Bühne ist mir in Erinnerung geblieben: eines von vielen Beispielen, wie ein Kulturstandort wie Salzburg, der sehr für einen gehobenen Tourismus bekannt ist, eine Plattform für viele Stimmen in der Stadt öffnen kann.

 

Weiterführende Literatur:

Barboza, Amalia (2009a): Die ‚jüdische Identität’ der Frankfurter Schule. In: Boll, Monika/Gross, Raphael (Hg.): Die Frankfurter Schule in Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland. Jüdisches Museum Frankfurt. Göttingen: Wallstein, S. 162-169.

Barboza, Amalia (2009b): Karl Mannheim. Konstanz: UVK.

Barboza, Amalia (2010): Zwei Frankfurter Schulen. Wissenssoziologie versus Kritische Theorie? In: Herrschaft, Felicia/Lichtblau, Klaus (Hg.): Soziologie in Frankfurt. Wiesbaden: VS Verlag, S. 161-203.

Barboza, Amalia (2019a): Brasilien am Main. Bielefeld: transcript.

Barboza, Amalia et al. (2016) (Hg): Räume des Ankommens. Topographische Perspektiven auf Migration und Flucht. Bielefeld: transcript.

Barboza, Amalia/Krug-Richter, Ruby (2019b) (Hg.): Heimat verhandeln. München/Wien: Böhlau.

 

Fotos aus:

Barboza, Amalia (2019a): Brasilien am Main. Bielefeld: transcript.

topographienderdiversitaet.wordpress.com

Amalia Barboza, Anita Moser ( 2022): „Diversität analysieren und gleichzeitig transformative Prozesse in Gang bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/diversitaet-nicht-nur-analysieren/